Als unser hundertjähriges Stiftungsfest herannahte, habe ich mir überlegt, was ich wohl zur Ausgestaltung beitragen könnte. Die Geschichte des Clubs wurde vom Kameraden Dr. Dehl anhand der alten Jahrbücher geschrieben. Da meine Erinnerungen an das Leben im ST.Y.C. bis zum Jahre 1913 zurückreichen und mein außerberuflicher Lebensweg weitgehend durch die Segelei im Rahmen des ST.Y.C. geprägt worden ist, nahm ich mir vor, den Bericht für die von mir durchlebte Zeitspanne ein wenig zu ergänzen und zu illustrieren. Es lag mir am Herzen und erschien mir beinahe wie eine Aufgabe, den jüngeren und auch den zukünftigen Mitgliedern ein anschauliches Bild vom Clubleben in der alten Heimat zu vermitteln. Die Umstände haben es mit sich gebracht, daß mein Bericht nicht mehr in die Festschrift aufgenommen werden konnte. So mag er denn über das Nachrichtenblatt seinen Weg nehmen.

Ob sich interessierte Leser finden werden? Ich argwöhne, daß ich nicht frei bin von den Antrieben, die das Alter so häufig zum Memoirenschreiben verleiten. Aber m.E. sollten um der Lebendigkeit willen auch rein persönliche Erlebnisse nicht ganz fehlen. Gelegentliche Abschweifungen möge man mir also nicht allzu sehr verübeln. Wenn aus meinen Schilderungen ein Bild von den allgemeinen Verhältnissen im alten deutschen Stettin ein wenig hindurchschimmern sollte, so soll mir das willkommen sein.

Die Anlagen des St.Y.C. im Frühjahr 1978.
Die Anlagen des St.Y.C. im Frühjahr 1978.
Dieses und die folgenden Fotos wurden uns freundlicherweise von einem ehemaligen Stettiner‚ Herrn Kurt Konzhack‚ dem Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesellschaft Zur Rettung Schiffbrüchiger‚ nach einem Kurzurlaub in Stettin zur Verfügung gestellt.

Sieben Jahre war ich, als mein Vater im Jahre 1913 dem ST.Y.C. beitrat und sogleich sehr aktiv wurde. Meine Eltern haben mich fortan häufig zum Clubgrundstück in Frauendorf, mitunter auch zum Segeln mitgenommen. Mit vierzehn hat mich selber die Passion gepackt und seither nicht wieder losgelassen. Welche Wandlungen in diesen rund 60 Jahren! Die knapp zwei Jahrzehnte zwischen den beiden Kriegen sind es, in die sich für unsere Generation die Erinnerungen an das heimatliche Seglerleben zusammendrängen und die uns verklärt als unsere schönste Zeit vor Augen stehen.

Die Faszination, die das Segeln auf den Empfänglichen ausübt, brauche ich hier nicht darzulegen. Aber sie wurde gesteigert, vervielfacht durch unser unvergleichliches Revier. Nehmen Sie, geneigter Leser, eine Karte vom Deutschen Reich, wie es bis zum 2. Weltkrieg bestand, zur Hand, halten Sie Ausschau nach dem schönsten deutschen Segelrevier und vertiefen Sie sich in die Seekarten: Sie werden schnell erkennen, daß die Gewässer von Stettin und Dievenow bis Rügen und Barth mit Abstand an der Spitze lagen. Die idyllischen Binnengewässer, dann die Haffs und Bodden, die vielgestalten Mündungen des Oderstroms, die Rügen’schen und Barther Binnengewässer; überall eine unerschöpfliche Fülle von Liegeplätzen im Schilf, in verschwiegenen Buchten und kleinen Fischerhäfen; dahinter dann die freie See. Und das alles haben wir erlebt mit der Begeisterungsfähigkeit und Unternehmungslust unserer jungen Jahre. Kaum jemand kann ein innigeres Verhältnis zur heimatlichen Landschaft gewinnen, als der sie durchstreifende Fahrtensegler, und so muß man begreifen, daß wir die so randvoll mit den schönsten Erinnerungen verbundenen Stätten unserer Jugend nicht vergessen und ihren Verlust nicht verwinden können.

Unsere Grundstücke – sowohl das alte Frauendorfer, als auch das spätere Gotzlower – lagen an der West-Oder, auf der sich auch die gesamte Großschiffahrt bewegt. Ihr Westufer ist bergig, den Blankeneser Höhen vergleichbar, ihr Ostufer flach; Wiesen und Bruchwald. Die Hafenbecken waren das Vorland des Westufers hineingebaggert; verhältnismäßig schmale Einfahrten führten in diese Häfen. Die Ostoder ist noch breiter und wasserreicher als die Westoder. Sie mündet unter dem Namen „Große Reglitz“ östlich vom Stadtzentrum in den mächtigen, 8 Seemeilen langen und bis zu 4 Seemeilen breiten Damm’schen See (Wasserfläche 51 qkm). Zwischen dem See und der Westoder breitet sich ein weites, fast völlig unbewohntes Wiesen- und Bruchwaldgelände aus. Von den vielen schiffbaren, Westoder und See verbindenden natürlichen Wasserläufen war die Swante uns besonders vertraut. Sie windet sich schilfumsäumt über 11/2 Seemeilen durch eine liebliche Wald- und Wiesenlandschaft, weniger als 100 Meter breit, aber bis zu den Ufern 4 Meter tief. Von ihr zweigt noch

wieder die noch schmälere und besonders malerische, ganz urwüchsige und stille Widersaat ab, die an der Försterei Bodenberg vorbei in die südwestliche Bucht des Sees führt. Auf Nachmittagstörns segelte man, leidlich Wind vorausgesetzt, das „Dreieck“ ab: Vom Clubhafen ein Stück oderaufwärts, Swante, drei Seemeilen über den See nach Norden, dann durch den Camelstrom, Zabbin oder Babbin bis zur Oderbarke, wo diese Ausflüsse des Sees sich mit der Westoder vereinigen, und dann wieder etwa drei Seemeilen oderaufwärts – eine sehr abwechselungsreiche und größtenteils durch unberührte Natur führende Fahrt. Hatte man mehr Zeit, dann konnte man einen der kleinen, idyllischen Hafenplätze am See – Ihnsmünde, Lübzin, Bergland oder Altdamn (überall Strandbäder) – aufsuchen. Stand ein ganzer Tag oder mehr zur Verfügung, so segelte man über die Oderbake hinaus weiter nordwärts, wo sich eine Fülle von Möglichkeiten bot. Die Oder gabelt sich dort nochmals in Dammansch und Fetzling, dann

in Weite und Enge Strewe, wo es besonders viele Fischreiher gab. Man konnte beim Kalkofen oder bei der Pälitzer Schanze festmachen oder in der „Nikolaschka-Bai“ übernachten oder durch die Larpe zu dem Städtchen Pölitz segeln. Man konnte aber auch vielerorts ankern oder einfach mit dem Bug durch das Schilf auf die Wiesenkante laufen. Dort, wo Weite und Enge Strewe sich wieder vereinigen, münden von Osten die Krampe und von Westen der Aalgraben in das hier beginnende Papenwasser. Die lauschige Krampemündung war in der Nacht zum Sonntag allemal stark belebt; Seglertreffen, Tanz „und alles miteinander“. Wenn man aber das Flüßchen ein wenig weiter hinaufsegelte, lag man in völliger Einsamkeit bei stimnungsvollem Froschkonzert zwischen Wald und Wiesen. Durch den Aalgraben konnte man bis zu der alten Klostersiedlung Jasenitz segeln. Kreuzen konnte man in dem schmalen Wasserlauf allerdings nicht.

Die Hauptziele an dem 7 sm langen Papenwasser (Wasserfläche 25 qkm) waren Stepenitz und Ziegenort. Stepenitz hatte 2 Yachthäfen, einer davon unmittelbar am Strandbad. Ausflugsdampfer, viel Betrieb in der Saison. Die Ziegenorter Nordausfahrt führt direkt auf’s Große Haff. Strandpromenade, ringsum viel Wald. In dem geräumigen, viel gegliederten Hafen fand sich zum Wochenende meistens eine stattliche Yachtflotte zusammen.

Ziegenort liegt immerhin schon 16 sm vom Clubhafen entfernt, aber bei günstigem Wind segelte, wer eine Nachtfahrt in Kauf nahm, auch am Sonnabend abend häufig noch übers Haff (800 qkm Wasserfläche, d.h. anderthalb mal größer als der Bodensee, Entfernung von Ziegenort bis zur Karkniner Eisenbahnbrücke, wo der Peenestrom beginnt, über 30 Seemeilen). Man segelte (10sm) zur Kaiserfahrt oder – noch einige Meilen weiter – nach Wallin, Lebbin, zur Laatziger Ablage oder nach Neuwarp. Nach Swinemünde waren es vom Kaiserfahrt-Eingang aus noch einal 8 Seemeilen, davon eine längere Strecke beiderseits durch Hochwald stark abgedeckt. Wenn man erst am Sonnabend nachmittag vom Clubhafen starten konnte, kam man also nur bei günstigem Wind bis Swinemünde (36sm).

Wer drei oder mehr Tage Zeit hatte, umrundete die Inseln Usedom oder Wallin, steuerte Saßnitz an, Bornholm oder Christiansö. Zum mindesten segelte man über die schöne alte Stadt Wellin nach den Seebädern Heidebrink oder Dievenow mit ihren herrlichen Seestränden und der fast ständigen starken Brandung. Auch an der Laatziger Ablage, unmittelbar am Rande riesiger Wälder und nahe dem großen Seebad Misdroy, lag man sehr schön, und so ein Naturparadies wie die Anlegebrücke von Altstadt bei Neuwarp oder die kleinen Häfen von Cammike am Hochufer der Insel Usedom oder von „Onkel Tom’s Hütte“ bei West-Dievenow findet man überhaupt kaum wieder.

Ich bin mir darüber klar, daß ich den bedauernswerten Leser mit einer Fülle von Namen überschütte, die für ihn nichts weiter sind als Schall und Rauch. Aber das ist ja das Tragische, daß diese Teile der Heimat uns jetzt verschlossen sind, und mir kommt es gerade darauf an, das meinige zu tun, daß sie nicht ganz der Vergessenheit anheimfallen. Deshalb fahre ich – auf die Gefahr hin, den Leser zu ermüden -, in meiner Aufzählung fort:

Vogelsang, Ueckermünde, Mönkebude, Usedomer See, Karnin am Kleinen Haff; von hier bis bis zum Ausgang nördlich von Peenemünde mißt der Peenestrom an 30 Seemeilen, die wir unzählige Male mit viel Freude durchsegelt haben. Nach Osten abzweigend das sich über 9 Seemeilen, von Südost nach Nordwest erstreckende, 2 bis 3 Seemeilen breite Achterwasser, ein auch landschaftlich besonders schönes Segelrevier mit dem steilen Bergrücken des Gnitz, mit den tief im Walde gelegenen winzigen Hafen der Försterei Stagnies bei Uckeritz, mit dem Naturhafen von Zempin, den so mancher Naturfreund unter den Seglern sich zum Urlaubsdomizil erkor – nur einen Steinwurf weit vom Ostseestrand, ganz einsam. Lassan, Wolgast, weiter peeneabwärts die Fischerhäfen von Karlshagen, Kröslin und Freest und dann Peenemünde, einst so verträumt in einem großen Naturschutzgebiet, später leider ein riesiges Rüstungszentrum. Und damit sind wir auf dem oft so rauhen, in die offene See übergehenden Greifswalder Bodden mit den Inseln Greifswalder Oie („Helgoland der Ostsee“), Buden mit Lotsenstation und winzigem Häfen und der bergigen Insel Vilm mit uraltem Baumbestand. ( Die höchste DDR-Prominenz soll sie sich jetzt reserviert haben.) Überhaupt die viel gegliederte, landschaftliche wunderschöne Südostküste von Rügen mit den für Segler-Ferienaufenthalte so idealen Liegeplätzen Lauterbach-Putbus, Seedorf, Baabe, Sellin, Thiessower See. Weiter westwärts, vorbei am Feuerschiff Palmerort (Später durch eine große Leuchtonne ersetzt), Stahlbrode, Strelasund, Stralsund, Altefähr, Barhöft‚ Schaprode, Hidensee mit seinen drei Anlegeplätzen ( allen voran die Yachtbrücke von Kloster), Wieck auf Rügen, Breege/Julisruh (unweit Arkona), der Jasmunder Bodden mit Schloß Nalswiek, Lietzower Schleuss, Schloß Spgker, die Gewässer um Barth und Zingst mit den Urwaldparadiesen vom Darß und der Sundischen hiese (letzteres allerdings Mitte der dreißiger Jahre durch Kasernenbauten zerstört). Überflüssig zu sagen: Nirgendwo hielt ein Hafenmeister die Hand auf, niemals gab es Sorgen um einen Liegeplatz, häufig lag man ganz allein.

Mit meiner „Pommernland“, die ich 1950 bauen ließ, habe ich 25 Jahre lang die dänischen und schwedischen Gewässer weithin durchstreift. Aber wenn ich nun Rückschau halte, so bin ich glücklich, daß ein so wesentlicher Teil meines erfüllten Seglerlebens in den Zeiträumen und in den heimatlichen Bereichen verlaufen ist, die ich hier anschaulich zu machen versuche. Ich meine, daß damals alles reizvoller, erlebnisreicher, naturnäher und romantischer gewesen sei, als in der heutigen Zeit weitgehender Motorisierung und Technisierung. Schwieriger und risikoreicher war die reine Segelei ohne Frage, aber auch interessanter. Heute gilt die hohe Schuhe der Segelkunst – nämlich die Hafenmanöver unter Segeln — nicht mehr viel. Sie ist beinahe gegenstandslos geworden. Wenn der Wind von vorn bläst oder es irgendwie schwierig oder unbequem wird, dann stellt der heutige „Skipper“ halt den Motor an, wenn der
nur kräftig genug ist. In der ersten Hälfte der zwanziger Jahre hatte die „Gudrun“ von Erich Pasenow, ein starkes Seeschiff‚ als einziges in der Flotte des ST. Y.C. einen Motor. Man distanzierte sich damals noch von Bootsmotoren, empfand sie als Fremdkörper, beinahe als eine Sünde gegen die geheiligten Grundsätze unseres Sports. Aber wenn der Wind am Sonntag abend eingeschlafen war, und viele Booten trieben noch zwischen der Oderbake und dem Clubhafen, dann fragte man doch verstohlen :“Ob die „Gudrun“ wohl schon durch ist?“ Man gab ihr liebend gern ein Ende rüber, und Kapitän Pasenow nahm es immer, wenn die Traube der geschleppten Boote nicht schon gar zu groß war.

Gewiß ist man oft in Flauten hängen geblieben; aber umso köstlicher war das Gefühl, wenn ein Windstrich am Horizont bemerkbar wurde, wenn andere Boote in der Ferne schon in Bewegung kamen und wenn dann das Wasser an der Bordwand wieder leise zu „gluckern“ begann. Ich habe mit meiner „Pommernland“ noch weit über zehn Jahre lang meine Touren ohne Motor gemacht. Inzwischen habe ich die Bequemlichkeiten und die gewaltige zusätzliche Sicherheit des Hilfsmotors schätzen gelernt, und so sei es ferne von mir, das Rad der Geschichte zurückdrehen zu wollen. Im heutigen Zeitalter des Massen-Wassersports und der restlos überfüllten Häfen mag es bei der Fahrtensegelei auch kaum noch gehen ohne Motor.

In der „alten Zeit“‚ den zwanziger Jahren, deren Loblied ich hier singe, wurde die Segelei auch in der Fischerei und in der Küstenschiffahrt noch groß geschrieben. Die Hochsee-Fischkutter waren damals schon motorisiert. Aber ich habe noch die etwa 20 Meter langen und 6 Meter breiten einmastigen Tückerkähne gekannt, die zu zweit auf dem Haff die Schleppnetzfischerei betrieben und nur an jedem zweiten Wochenende zu ihren Heimatplätzen Wollin und Sager segelten; auch die Haffquatzen, ca. 15 mal 5 m mit langem Klüverbaum, die die Fische nach Stettin brachten, segelten noch häufig mit Großsegel, 2 Vorsegel und Vierkanttop. Auf dem Greifswalder Bodden und in den Rügen’schen Binnengewässern gab es noch viele Zeesboote („Dwarsdriever“), vielleicht 10 mal 3 m, die sich mit backgesetzter Fock und dichter Großschot leewärts treiben ließen und ihr Schleppnetz in Luv an zwei riesigen Auslegern vorn und achtern durch das Wasser zogen und die bei der Ausreise und Heimkehr so erstaunlich schnell kreutzten, daß wir kaum mithalten konnten.

Angesichts des enormen Fischreichtums gab es auch eine blühende Kleinfischerei. Sie wurde mit schlanken, 7 bis 8 m langen, mit Sprietsegel und Fock ausgerüsteten „Heuern“ betrieben, die zwischen Liegeplatz und Reusen oder Stellnetzen hin und her segelten und ebenfalls vorzüglich liefen. Bei Flaute wurden sie „gepuhlt“. Und dann gab es auf den Stettiner Gewässern und bei nicht zu stürmischem Wetter auch auf dem Haff ganze Flotten von „Oderkähnen“ („Stangenschonern“), ca. 50 m lang, die an drei freistehenden, wohl 20 m hohen Pfahlmasten Sprietsegel und Fock, auch Toppsegel fuhren, meist mit zwei Seitenschwertern an jeder Seite. Oft sah man sie ankernd auf günstigen Wind warten. Aber nicht selten kreuzten sie unverdrossen, in geradezu rührender Weise mit minimalstem Geländegewinn sogar auf den Oderarmen, bis sie schließlich kurz von den Stettiner Brücken die Masten legten, um sich weiter oderaufwärts nach Berlin oder sonstwo schleppen zu lassen.

Auch in der Handelsschiffahrt gab es damals noch eine ganze Menge reiner Segelschiffe. Ich habe es im Sommer 1926 als „Skipper“ einen Studentenyacht auf der Reise nach Stockholm noch erlebt, daß wir bei nördlichem Wind vor der Fahrwasserenge bei Kalmar mit einer Flotte von wohl zwanzig Frachtseglern zu Anker lagen. Und es ist mir unvergesslich geblieben, wie bei aufkommendem leichten Südwind die ganze Mahalla ankerauf ging und mit uns gen Norden segelte. Ich will die Schilderung dieser „nostalgischen“ Zustände nicht abschließen, ohne erwähnt zu haben, daß es damals auch auf dem Haff noch zwei Feuerschiffe gab: Woitzig auf der Grenze zwischen Großem und
Kleinen Haff und Elb und Bock vor dem Westausgang des Kleinen Haffs. Bei Elb und Bock haben wir einmal eine Nacht längsseits gelegen.

Aber nun ist es doch wohl an der Zeit, sich spezieller unserem Jubilar, unserem Stettiner Yacht-Club, zuzuwenden.

Meine frühesten Erinnerungen in wassersportlicher Hinsicht gehen auf die Jahre 1911/12 zurück. Mein Vater, Mitglied des Ruderclubs „Triton“, unternahm mit seinem „Einer mit Steuermann“ mit meiner Mutter und mir öfter Fahrten in die reizvollen Gewässer bei der Försterei Bodenberg, und davon ist mir als großes Erlebnis ein Picknick am Ufer eines der schmalen, den Bruchwald „Schwarzer Ort“ durchziehenden Wasserarme in Erinnerung geblieben. Ich denke auch noch and die Ängste meiner Mutter, auf deren Schoß ich plaziert war, wenn auf der verkehrsreichen Oder Dampferwellen pariert werden mußten. Im Jahre 1913 gab mein Vater die Ruderei auf und trat dem St.Y.C. bei. Er wurde schnell ein passionierter Segler. Zu einer eigenen Yacht konnte es damals ein Schulprofessor schwerlich bringen, aber Mitsegler waren auf den großen Booten gesucht; lange Zeit hat ihm auch der kleine Kreuzer eines Freundes zur Verfügung gestanden, später hat er die clubeigenen Küstenjollen viel gesegelt. Er war lange Jahre Schriftführer des Clubs und hat noch im Alter bis zur Vertreibung aus der Heimat die Bücherei des Clubs verwaltet.

Im Mai oder Juni 1920 bin ich, 14-jährig, mit zwei Freunden der – nur ganz locker organisierten – „Schülerabteilung“ des Clubs beigetreten, und nun überkam es mich wie ein Rausch. Wochentags nachmittags durften wir unter der abwechselnden Führung von zwei Primanern auf den clubeigenen Küstenjollen segeln. (Der Club hatte auf der Werft von Harms in Swinemünde drei Boote dieser jungen DSV-Klasse bauen lassen: Arkona, Vineta und Hertha, U26, U27 und U30, 7 mal 2 Meter, 30 qm am Wind, dazu Spinnaker). Im Juli konnte ich an Bord der großen Schoneryacht „Flamingo“ (Eigner Jacob Flemming, später „ARGO“, Dr. Köhnke) im Rahmen der Pommernwoche bei frischem Nordwest eine Dreiecksregatta vor Swinemünde mitsegeln. Es war ein ganz großes Erlebnis. Die vor
dem Start in hohem Seegang wild hin und her preschenden vielen großen Yachten, die nach dem Startschuß sich dann plötzlich zu Geschwadern ordneten, um nach einer Wendemarke in scheinbar verwirrenden Kreuzschlägen wieder durcheinander zu segeln, das war mein erster, überwältigender Eindruck von der Segelei auf der offenen See. An den Wochenenden war dann mein Vater mit uns mit einer der Jollen unterwegs, wir wurden aber auch immer öfter auf – wie man heute sagt – „Dickschiffen“ mitgenommen. Ab Frühjahr 1921 trat dann für uns Herr Ernst Heber („Tobias“) in Erscheinung, ein sehr erfahrener Seesegler, ehemaliger Verwaltungsbeamter in Deutsch-Kamerun, der vom Vorstand mit der Leitung der Schülerabteilung betraut worden war. Er hat sich unserer Betreuung und seglerischen Ausbildung in vorbildlicher Weise angenommen. Wir sehnten den Mittwochnachmittag herbei, wo wir unter ihm die Küstenjollen segeln durften. Schon das Auftakeln der Boote, überhaupt das Fluidum des Clubhafens und an Bord schlug uns inmer wieder in seinen Bann, und wie waren wir stolz, wenn „Tobias“ bei seinem Eintreffen alles als in Ordnung und segelklar lobte. Er hat auch später, nach der Gründung des Greifenclubs, auf die ich bald zu sprechen komme, als Verbindungsmann zum Vorstand des ST.Y.C. noch Jahre erfolgreich gewirkt, und manche „Greifen“ haben an Bord seiner großen Yawl „Delphin“ ex „Eva“ an weiten Reisen bis nach Memel und Libau teilgenommen. Er hat übrigens jahrzehntelang die Clubnachrichten und Jahrbücher des ST.Y.C. redigiert. Wir bewahren ihm ein treues Gedenken.

Wer die örtlichen Verhältnisse nicht kennt, kann nicht ermessen, daß ein beachtlicher Elan dazu gehörte, um auch wochentags nachmittags zum Club hinauszufahren. Das Anwesen des Clubs – damals noch in Frauendorf – lag imnerhin an 7 km vom Stadtzentrum entfernt. Unser späteres Gotzlower Grundstück lag sogar noch zwei Kilometer weiter nördlich! Und wer hatte damals schon ein Auto?! Die „Elektrische“ (Linie 7) brauchte vom Königstor bis Frauendorf eine gute halbe Stunde, dann noch zehn Minuten Fußweg. Von der Hakenterrasse fuhren stündlich die „Gotzlow-Dampfer“ „Hans“ und „Hanni“, die auch am Frauendorfer Freistaden anlegten. Von den Stadtteilen Torney, Neuwestend und Zabelsdorf konnte man die die halbe Stadt umfahrende Eisenbahn Stettin-Ziegenort benutzen, sie verkehrte aber nicht sehr häufig. Wir Jungen fuhren fast immer mit dem Fahrrad.

Unser Frauendorfer Grundstück hatte zwei getrennte Häfen mit je einer Ausfahrt zum Oderstrom. Im nördlichen lagen die großen Yachten; im südlichen die kleineren, darunter unsere Küstenjollen. Das südliche Hafengrundstück hatte früher dem schon vor „meiner Zeit“ eingegliederten „Oder-Yacht-Club“ gehört. An diesen erinnerte noch ein kleiner Pavillon auf der Halbinsel zwischen den beiden Ausfahrten. Von dort gelangte man mittels einer Schwimmbrücke über die nördliche Hafenausfahrt zum Hauptgrundstück, auf dem das stattliche zweistöckige Clubhaus mit mehreren Gesellschaftsräumen und großer Terrasse mit der Front zum allezeit belebten Oderstrom lag; gegenüber die
weite Wiesenlandschaft des Ostufers mit dem Bruchwald und dem Dammschen See im Hintergrund.

Das Clubleben hatte im ersten Viertel des 20. Jahrhunders – bis in die ausgehenden 20er Jahre – einen ausgesprochen großbürgerlichen Zuschnitt. „Man“ war Mitglied des STYC, wenn man in den Kreisen der Fabrikanten, der Kaufmannschaft, der Bankiers, der leitenden Werftleute, der Industriellen etwas darstellte. Prinz Eitel-Friedrich von Preußen war noch „Protektor“ des Clubs. Offiziere, die höhere Beamtenschaft, Ärzte, Anwälte gewannen erst allmählich an Gewicht. Die Prominenz des Clubs war aus Prestigegründen z.T. auch noch Mitglied im Kaiserlichen Yacht-Club (der seinen Namen m.W. erst im „Dritten Reich“ in „Kieler Yacht-Club“ geändert hat). Selbstverständlich herrschte keine mehr oder weniger allgemeine Verbrüderung, wie sie in Vereinen anderer Prägung vielfach üblich war und heute ist.

Es gab „Cliquen“, aber sonst hielt man im allgemeinen Distanz. Keine lauten Appelle an Gemeinschaftgeist und Solidarität, aber wenn es darauf ankam, mangelte es nicht an generösen Spenden. Keinerlei Druck zur Beteiligung an Clubveranstaltungen sportlicher oder gesellschaftlicher Art, aber alle waren bestens besucht. Selbstverständlich kein Gedanke an Arbeitsdienst. Man hielt sich Bootsleute, die die Schiffe instandsetzten und -hielten, ständig mitsegelten, bei Regattapreisen ein stattliches Salair zu beanspruchen hatten und den Winter über von ihren Kapitänen anderweitig beschäftigt wurden. Das Auf- und Abschleppen der Clubflotte im Herbst und Frühjahr besorgten die Bootsleute unter Leitung des Clubbootsmanns, der dazu noch zusätzliche Hilfskräfte einstellte. Hierbei ist es übrigens bis zum bitteren Ende geblieben – die Eigner brauchten sich um das Auf- und Abtakeln, Auf- und Abschleppen nicht zu kümmern.

Sicherlich war manch einer nur aus gesellschaftlichen Gründen dem ST.Y.C. beigetreten. Es gab aber auch viele Sportsegler von hohen Graden, allen voran der Cammodore Kurt Krey, Fabrikant, Inhaber vieler Ehrenämter, Mitglied des Vorstandes des DSV, ein wirklicher „Herr“, der mit souveräner und eleganter Lässigkeit die Sitzungen leitete und Feste eröffnete. Mir tönt noch seine tragende, warme Stimme auf den Pommernwoche-Veranstaltungen, Preisverteilungen im Swinemünder Kurhaus, im Stralsunder Rathaus oder anderswo in den Ohren. Er hat jahrzehntelang – 1907 bis 1929 – als Vorsitzender die Geschicke des Clubs geleitet. Seine Yawl „Lotti“, 23m über alles, 250 qm am Wind, das schnellste Boot weit und breit, auf den deutschen und skandinavischen Regattaplatzen zu Hause, war das stolze Flaggschiff des Clubs. „Die Lotti kommt!“ Unser alter Clubbootsmann und Ökonom Hellfeldt ließ alles stehen und liegen, wenn dieser Ruf erscholl; andere Bootsleute eilten herbei, um die Leinen wahrzunehmen, die ”Grundstückssegler“ sammelten sich vorne an der Pier, die Damen auf der Terrasse reckten die Hälse, und wir Jungen liefen hin, um die Schwimmbrücke zu öffnen, wenn Com. Krey mit Präzision das große Schiff in die Einfahrt manövrierte – ohne Maschine natürlich.

Im Jahre 1921 habe ich mit einem anderen Jungen zur Stammbesatzung der „Lotti“ gehört. Wir segelten vor dem Mast – die Trennung wurde streng durchgeführt – und waren in dem geräumigen Vorschiff untergebracht, in Bootsmann Wilhelm Voigt’s Reich, der uns in allem unterwies und aufs Beste betreute. Das Hochwuchten der unheimlich schweren Gaffel und des daran hängenden noch schwereren Großsegels mit Nipper und Strecker war allemal eine Strapaze; es wurde oft nur in Etappen bewerkstelligt. Dann noch das Vierkant-Topsegel, aber das alles tat der Begeisterung keinen Abbruch. Die kleinen Häfen, der Dammsche See, auch die Dievenow und die Peene waren der „Lotti“ ob ihres 3m Tiefgangs versperrt. Aber das Papenwasser und vor allem das Haff boten schon ein weites Revier. Wir ankerten nachts unter den Lebbiner Bergen oder unter Wahrlang oder machten in der Kaiserfahrt fest, segelten wohl auch bis Swinemünde – romantische Nachtfahrten. Den Höhepunkt bildeten für uns Jungen allemal die Zeiten, in denen sich der Commodore mit seinen Gästen zum Essen unter Deck begab oder sich zu einem Schläfchen zurückzog. Dann kamen wir ins Cockpit und durften unter Wilhelm Voigts Augen die „Lotti“ steuern; nur schade, daß während der Mahlzeiten – der Krängung wegen – häufig mit losen Schoten gesegelt werden mußte.

Zwei „Lotti“-Fahrten aus jenem Jahr sind mir noch lebhaft in Erinnerung geblieben: Die Pfingstfahrt, die nach Saßnitz führen sollte und wegen aufkommenden Unwetters auf der Höhe der Oie abgebrochen wurde. Wir sind mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit nach Swinemünde zurückgebraust. Und eine Nacht zum Montag, in der wir das Riesenschiff bei vollständiger Flaute von Cavelwisch bis zum Frauendorfer Clubhafen mühseligst mit dem Beiboot geschleppt haben. Auch Herr Krey ruderte unverdrossen mit; erst am hellen Morgen waren wir am Ziel.

Der Zufall wollte es, daß ich auch über den Ausklang der „Lotti“ – Ära aus eigenem Erleben etwas berichten kann. Auf der Regatta Stralsund-Nexö 1926 führte ich eine Studentenyacht (Schoner), Konkurrent der „Lotti“. Dank besonderer Glücksumstände lagen wir morgens bei Rönne nicht allzu weit hinter ihr. Als plötzlich ein sehr harter Nordost aufkam, standen wir ganz dicht unter der Bornholmer Westküste und
konnten in deren Schutz weitersegeln, während die „Lotti“, wie viele andere Teilnehmer, ohne Landschutz mit der Bö fertig werden mußte. Wir frohlockten, als wir erkennen konnten, daß auch der Commodore Krey das Großsegel bergen ließ und auf einen raumen Kurs abdrehte; und wie groß war unsere Freude, als der Nordost, während wir uns dicht unter Land Hammerodde näherten, sehr viel handlicher wurde, so daß wir als erste die Odde runden und das Ziel Nexö erreichen konnten, ohne von den achteraus immer deutlicher werdenden Verfolgern noch eingeholt worden zu sein. Den Preis hatten wir gewonnen, aber die Preisverteilung konnte nicht stattfinden: Die „Lotti“, der man die Preise an Bord gegeben hatte, kam nicht.

Später erfuhr man, die „Lotti“ habe wegen eines Schadens im Rigg aufgeben müssen und sei nordwärts gesegelt, um die geplante Schwedenreise anzutreten. Dabei ist sie am nächsten oder übernächsten Tag an der Ostküste von Öland auf eine blinde Klippe gelaufen. Nachdem die Lage kritisch geworden war, ist die Besatzung abgeborgen worden, wobei auch die Preise gerettet werden konnten. Das Wrack wurde aufgegeben, konnte aber später doch nach Oskarshamn eingeschleppt und wieder instandgesetzt werden. Die Versicherungsgesellschaft hat es verkauft, später soll es nach Südamerika überführt worden sein. Der Club hatte sein bekanntestes Schiff verloren. Aber zur Clubflotte gehörten damals noch viele andere stolze Fahrzeuge. Die wunderschöne Schoneryacht „Flamingo“, später „Argo“ habe ich schon erwähnt. Die große
Ketsch „Godewind“ der Familie Mandt, der nationale 125er „Ingeborg“ von Evers, die 7m R Yacht unseres späteren Commodore Walter Sehell, die Yawl’s „Eva“ von Schröder, „Wiking“ von Kpt. Buchholz, der Nat. 75er „Liebesseele“ und die Dampferyacht „Lischen“ von Quistorp, die 9 m R Yacht „Swantewit“ von Ploetz und Dr. Jahne, der grüne „Laubfrosch“ von Braconier ( ein Exemplar der „Sonderklasse“, die zu Kaiser’s Zeiten das größte Regattafeld auf der Kieler Woche gestellt hatten, offene Kielboote mit wenig Freibord und riesigen Überhängen, etwa 50 qm am Wind) – diese Boote sind mir noch erinnerlich aus der Clubflotte am Ende des ersten Weltkriegs.

Wenn der „Laubfrosch“ Lage hatte, mußten wir unablässig pumpen, aber er war unheimlich schnell. Im Jahr 1920 erschien die „Sigrid“ (Justizrat Flamme) und mit ihr die neue Zeit: Ein Nat. 75er, Neubau der Hamburger Werft von W.v. Hacht, das erste hochgetakelte Schiff in Stettin, viel bewundert.

Die Kameradschaft, die sich unter uns Nachwuchsseglern bildete, ließ bald den Wunsch nach einem festen Zusammenschluß aufkommen. Es war damals die große Zeit der Schülerverbindungen. An allen höheren Schulen bestanden Vereinigungen, die Literatur, Musik, Turnen, Rudern oder andere Disziplinen auf ihre Fahne ge
schrieben hatten. Alle waren sehr bemüht, die studentischen Korporationen nachzuahmen mit Einteilung in „Burschen“ und „Füchse“, mit „Couleurband“, „Bier- und Weinzipfeln“ und Veranstaltung von „Kommersen“, auf denen Reden geschwungen, Lieder geschmettert und viel Bier getrunken wurde. Selbstverständlich wählten auch wir diese Organisationsform, als wir – ganze sieben Mann – am 17.1.1922 im Klassenzimmer des Obersekunda unseres Friedrich-Wilhelms-Realgymnasiums den „Greifenclub“ gründeten und ihm seine Satzung gaben. Den Namen – vom pommerschen Wappentier hergeleitet – hatte „Tobias“ Weber vorgeschlagen, der vom Vorstand zum Verbindungsmann bestellt worden war. Auf Verlangen des Vorstands führten wir auch einen ab-
gewandelten Clubstander: den Greifenkopf auf’weißem, oben und unten blau eingefaßten Felde. Nachdem der „Greifenclub“ bald einen ungeahnten Aufschwung genommen hatte und später zusammen mit seinem „Altherrenverband“ von manchem als „Staat im Staat“ beargwöhnt wurde, mag es dem einen oder anderen leid geworden sein, daß man diesen besonderen Standen eingeführt hatte.

Der Vorstand übereignete dem Greifenclub alsbald die Kustenjolle „Hertha“. Nachdem ein Kamerad und ich am 4.5.1922, 16jährig, als erste den Standerschein des Greifenclubs erworben hatten, der uns zur Führung der Küstenjollen bis in die Rügen’schen Gewässer und sogar zur Rügen-Umrundung ermächtigte, stieg unsere
Abenteuerlust, unser Fernweh nach allen Herrlichkeiten des Reviers ins Ungemessene. Selbstverständlich hielten wir uns für mehr oder weniger perfekte Segler und so ziemlich allen Anforderungen gewachsen. Man muß bedenken, daß wir damals auch sonnabends zur Schule mußten und demgemäß kaum vor 4 Uhr nachm. ablegen konnten. Aber wenn genug Wind war , – zuviel konnte es uns damals kaum werden – dann segelten wir in der Nacht zum Sonntag oft noch übers Haff nach Wollin, Lebbin, zur Kaiserfahrt oder nach Warp.

Selbstverständlich nahmen wir an allen neun Regatten der „Pommernwoche“ teil. Die „Pommernwochen“ wurden vom STYC, der den ständigen Vorsitz im „Pommerschen Regattaverein“ führte, veranstaltet, mit Unterstützung des dem Club sehr befreundeten Potsdamer Yacht-Clubs. Die Regatten erstreckten sich sich über 12 Tage, wobei Dreiecksregatten mit Uberführungswettfahrten wechselten : Grosses und Kleines Haff, Peenestrom, Greifswalder Bodden, Strelasund, Seeregatta von Wieck bei Greifswald (später von Lauterbach auf Rügen) nach Meringsdorf, zwei Dreiecksregatten vor Swinemünde. Dank großer Berliner Beteiligung waren oft weit über 100 große Yachten am Start. Die Küstenjollen waren die kleinste zugelassene Klasse. Auf den Uberführungswettfahrten hatten dne Großen oft einen weiten Vorsprung. So etwas wie Begleitfahrzeuge gab es noch nicht. Wir bekamen unsere Jollen allmählich ganz gut in den Griff, so daß die Ausbeute an Silberbechern schon 1922 und 1923 garnicht so gering war. Zum Pommerschen Regattaverein gehörten noch der
Stettiner Seglerverein, der Swinemünder Yacht-Club, der Akademische Seglerverein zu Greifswald, der Stralsunder Seglerverein, später auch noch der Sassnitzer Yachtclub und der Fürstliche Yacht-Club Putbus. Alljährlich im Frühling und im Herbst veranstaltete der STYC noch eine offene Regatta auf dem Papenwasser.

In diesem Zusammenhang mag erwähnt werden, daß es damals zwei völlig von einander unabhängige Seglerzusammenschlüsse gab: Den Deutschen Segler-Verband und den Deutschen Seglerbund, dem die Vereine bescheideneren Zuschnitts angehörten. Getrennte Regatten, überhaupt keine gemeinsamen Veranstaltungen, nicht einmal allgemeiner Gruß-komment zwischen DSV und DSB. Von den acht oder neun Stettiner Clubs gehörten nur der STYC und der Stettiner Segler-Verein dem DSV an. Wenn ich mich recht erinnere, sind beide erst nach 1933 fusioniert worden.

Sehr bald nach der Gründung des „Greifenclubs“ waren auch Kameraden zu uns gestoßen, die schon Segelkenntnisse mitbrachten und sogleich den Standerschein erwarben, vor allem aus dem Kreis der Junioren des Stettiner Segler-Vereins. Der Vorstand stellte uns daraufhin schon 1923 die Küstenjollen „Arkone“ und „Vineta“ zusätzlich zur Verfügung, und so war des Geschwader- und Wettsegelns unter uns „Greifen“ kein Ende. In den Pfingstferien 1923 segelten wir zum ersten Mal um Rügen mit der „Hertha”. Kaum zwei Stunden, nachdem wir Arkona passiert hatten, wir hatten gerade die geschützten Gewässer des Libben (bei Middensee) erreicht, brach ein Südweststurm los, dem wir auf der offenen See wohl nicht gewachsen gewesen wären.
Im Frühjahr 1924 ging unser Überschwang so weit, daß wir die Jollen schon im Februar klar machten. Weil das Eis aus dem Clubhafen noch nicht weichen wollte, zerhieben wir es zu einzelnen Inseln, die wir bestiegen und zur Hafenausfahrt stakten, um dort auf die Clubbrücke zu klettern. Sogar bei Schneetreiben waren wir unterwegs.

Wir erwachten jäh aus dem Rausch unseres – rückschauend betrachtet – vielfach unverantwortlich leichtsinnigen Segelns, als am 20. April 1924, Ostermontag, unsere „Hertha“ auf dem Haff bei Tonne 8, also etwa auf der Mitte zwischen Kaiserfahrt-Ausfahrt und dem Leitholm – mit dreien unserer Kameraden Hans
Krüger, Martin Deichsel und Wilhelm Jensch, unterging. Sie waren am Oster-Sonnabend und -Sonntag nach Swinemunde gesegelt und hatten sich, weil sie nach Hause „mußten“, von dem am Montag mit Stärke 8 bis 9 wehenden NW Wind nicht vom Antritt der Rückreise abhalten lassen. Der Swinemunder Lotsenkommandeur hatte
ihnen sogar noch ein Motorboot nachgesandt, das sie warnen sollte. Den Hergang der Katastrophe hat niemand mit angesehen. Auf dem Haff hatten sie den Nordwest von achtern. Ob sie unfreiwillig gehalst sind oder wie es sonst sich zugetragen hat – der Mast ragte, wenig westlich der betonnten Rinne einen Meter aus dem
Wasser. Die drei Leichen wurden bei Steinort (Westkuste des Großen Haffs) angetrieben. Das Leid der Eltern war grenzenlos, und es war für uns alle ein entsetzlicher Schock. Aber das Leben ging doch weiter. Die Hertha ist wieder gehoben und noch viele Jahre von der Jugend des Clubs gesegelt worden.

Im nächsten Jahr (1925) zog der Club um in das neue Clubhaus und -grundstück in Glotzlow. Es waren ja besonders günstige Umstände, die dem STYC diesen gewaltigen Sprung nach vorn ermöglicht hatten: Zu beiden Seiten unseres Frauendorfer Anwesens waren die angrenzenden Grundstücke von der neu gegründeten Ostseewerft, hinter der der Reeder E. R. Retzlaff stand, erworben worden. Werkhallen, Docks und alles, was zu einem großen Werftbetrieb gehört, wuchsen beiderseits empor, und bald schon schoben sich die die Werft aufsuchenden großen Frachter von Norden und von Süden mehr oder weniger vor unser Grundstück. Ihre Vertäuungen versperrten häufig die Hafeneinfahrten so, daß wir manchmal kaum heraus oder hinein gelangen
konnten. Der Clubbetrieb litt sehr darunter, aber noch mehr war das mitten in das Werftgelände geratene Clubgrundstück der Werftleitung ein Dorn im Auge. So kam es dann zu dem für uns so lukrativen Handel, bei dem der Club sein bisheriges Grundstück gegen das viel größere Gotzlower Gelände eintauschte und dazu noch
600.000 Goldmark erhielt.

Bei der Einweihungsfeier hatte ich als 23.(!) und letzter „Redner“ die Glückwünsche des Greifenclubs zum Ausdruck zu bringen, während zwei junge Kameraden in feierlichem Zuge das Modell einer Hansakogge hereinbrachten, das dann unter der Decke des Sehifferzimmers seinen Platz gefunden hat. Nun boten sich die
weitläufigen, stilvoll und elegant eingerichteten Gesellschaftsräume- drei große „Salons“ mit der Front zur Oder, Damenzimmer, Sehifferzimmer, Seglerzimmer, Vorstandszimmer, eine große Diele mit Restaurationsbetrieb und der Festsaal (30 mal 20 Meter), alles im Erdgeschoß, – für gesellschaftliche Veranstaltungen an. Viele schöne Feste haben wir in der Folgezeit dort gefeiert, darunter das
fünfzigste Stiftungsfest im Jahre 1927.

An jedem Freitag war eine große Mannerrunde zum Clubabend versammelt, an jedem Mittwoch nachmittag tagte das Damenkränzchen. Bei schönem Wetter war die über die ganze Länge des Hauses sich hinziehende Terasse mit ihren vielen Tischen und Sitzgruppen besetzt, besonders natürlich an den Sonntag-Nachmittagen.
Man überblickte von dort den Oderstrom nach Norden und Süden über je etwa eine Seemeile; gegenüber die grünen Wiesen und Bruchwälder. Der ganze Sehiffsverkehr zog vorüber, Frachter aller Größen, die Musikdampfer“ nach Rügen, Swinemünde, Dievenow und Laatziger Ablage (Midroy), Stepenitz, Ziegenort, und nicht zuletzt die Segler und sonstigen Wassersportler, denn alle anderen Wassersportvereine
waren oberhalb von Gotzlow angesiedelt. Noch umfassender war der Blick von dem Dachgarten und der Plattform des Turms des Clubgebäudes. An Sonntag-Nachmittagen war es für die auf der Terrasse weilenden Segler ein unerschöpfliches Vergnügen, die Hafenmanöver der heimkehrenden Kameraden mit mehr oder weniger Sachverstand zu beurteilen und zu kritisieren. Es waren auch zu dieser Zeit alles noch Segel- Manöver, und sie gelangen recht unterschiedlich.

Unter den Berliner Seglern, die alljährlich in großer Zahl über den Groß-Schifffahrtsweg nach Stettin kamen, um von hier aus ihre Sommerreise anzutreten, sprachen sich die vorzüglich technischen Einrichtungen des neuen Hafens – auch die erstklassige Küche der Frau Hellfeld – schnell herum, und so gab es fortan in den Sommermonaten ein ständiges Kommen und Gehen mit Auf- und Abriggen der Berliner Sportkameraden.

Im ersten Obergeschoß des Hauses die Bücherei des Clubs und die Wohnung des Ökonomen, im zweiten Obergeschoß eine Flucht von schönen Zimmern mit Blick auf den Strom, die an Clubkameraden vermietet wurden. Jeder Bootseigner bekam an der Nordgrenze des Grundstücks eine geräumige Kammer für sein Bootsinventar, die sich auch recht wohnlich einrichten ließ.

Auch die Anziehungskraft des Greifenclubs stieg noch mehr. Nicht auf den Küstenjollen, sondern auch auf vielen Eignerbooten leuchteten die blau-weiß-roten Zipfelmützen des „Greifen“; überall sah man sie, wo sich Segler trafen. Tanzkränzchen und Tanzfeste nach dem Muster der damals beliebten Schülerbälle
wurden veranstaltet, im Clubhaus, aber auch in Sälen der Stadt. Ferner auch „Kommerse“, allen voran die „Weihnachtskneipe“, auf die wir uns immer schon lange freuten. Sie wurde im „offiziellen Teil“ auf das feierlichste zelebriert, um schließlich in turbulente Fröhlichkeit auszuarten.

Mit Vollendung des 21. Lebensjahres schied man satzungsgemäß aus dem aktiven Greifenclub aus und wurde „Alter Herr“ – auch dies in Nachahmung der Bräuche der studentischen Korporationen. Die „Alten Herren“ schlossen sich zu einem Verband zusammen und hielten unverminderten Kontakt untereinander und mit den vorerst ja nur ganz unwesentlich jüngeren Aktiven. Damit waren die Voraussetzungen für den ersehnten Erwerb einer großen Clubyacht des GC gegeben. Im Frühjahr 1929 konnten wir zu sehr günstigen Bedingungen die „Svantewit“ für den Altherrenverband erwerben; eine aus bestem Mahagoni stark gebaute Kutteryacht mit Klüverbaum und weit überhängendem Großbaum, 125 qm am Wind, acht feste Sehlafplätze; ohne Maschine. „Swantewit“ hatte lange Zeit zu den stattlichsten Booten des STYC gehört. Es existiert noch ein Bild, wo ich als Vorsitzender des AHV das stolze Schiff vom Bootsmann der Vorbesitzer übernehme. Nun war die Bahn frei für weite Reisen. Wir waren anfangs nur drei oder vier Swantewit-Skipper, die inzwischen anderenorts schon gelernt hatten, mit großen Booten umzugehen. Jeder segelte mit 6 oder 7 Aktiven seine Urlaubstour, meist über Bornholm zur schwedischen Ostküste, oder auch über Rügen und Sund oder Belt bis nach Göteborg, Anholt, Aarhus, Veyle. Auch in Kiel, Burgstaaken, Neustadt und Iravemünde waren wir mit dem „Swantewit“; wer hätte damals geahnt, daß wir hier noch einmal unsere Ersatzheimat finden würden! Auch Wismar haben wir besucht, und wir haben mit dem großen Schiff sogar den Guldborgsund von Süden nach Norden durchsegelt.
Es waren für uns wahrhaft glückliche Zeiten, diese gut 10 Jahre der hohen Blüte des Greifenclubs. Was für eine prächtige junge Mannschaft, so fröhlich, so tatkräftig, so kameradschaftlich und bald von einem starken Zusammengehörigkeitsgefühl beseelt, manchmal voll überschäumender Lebensfreude. Eimge waren so gepackt von dem Abenteuer der Seefahrt, daß sie beschlossen, zur See zu gehen. Drei sind Offiziere bzw. Kapitäne der Handelsmarine geworden. Viele haben später bei der Kriegsmarine gedient. Ich habe damals manchmal bei mir gedacht: Wie dein weiteres Leben auch verlaufen mag; durch deine Mitwrkung bei der Gründung und beim Aufbau des Greifenclubs und seines „AHV“ hast du doch etwas Bleibendes, in die
Zukunft Weisendes mit schaffen können.

Doch „mit des Geschickes Mächten ist kein ew’ger Bund zu flechten“,es blieb nicht so. Es kam das „Dritte Reich“, und ein Rauhreif legte sich auf das bis dahin so fröhliche, unbeschwerte Leben im Greifenclub und seinem AHV. Politisch Lied, ein garstig Lied. Die Einstellung zum Nationalsozialismus war auch unter uns jungen Leuten durchaus uneinheitlich. Kontroverse Debatten, Gruppenbildungen. Vor allem aber legte der totale Staat seine schwere Hand auch auf den Sport und auf die Jugendorganisationen. Das Jahr 1933 war an Wochenenden und oft auch an Abenden ausgefüllt durch unablässige Aufmärsche, Apelle, Schulungen und Kundgebungen, denen sich niemand entziehen konnte, der nicht wirtschaftlich ganz fest im Sattel
saß oder der gar noch etwas werden mußte oder wollte. „Denn wer auf diese Fahne schwört, hat nichts mehr, was ihm selbst gehört !! – hieß es bei der „Vereinigung“ neuer „SA-Männer.“

Außerhalb der neugegründeten „Marine-SA“, die das Jugendsegeln autoritär organisieren wollte und die Jugendboote für sich in Anspruch nahm, gab es für die meisten jungen Segler in dieser Zeit wenig Möglichkeiten. Im Jahre 1934 — besonders nach der Entmachtung der SA-Führer am 30. Juni 1934 – lief sich einiges wieder zurecht. Viele fanden eine „Masche”,um am Wochenende und im Urlaub wieder
nach eigenem Geschmack segeln zu können. Aber dem Greifenclub war mit dem Verlust seiner Eigenständigkeit das Rückgrat gebrochen. Der „Swantewit“ mußte 1934 verkauft werden. Der AHV löste sich auf, man suchte sich andere Segelgelegenheiten; manch einer hatte inzwischen fleißig auf ein eigenes Boot gespart – die Preise waren damals für gebrauchte Boote sagenhaft billig. Auch ich konnte Ostern 1934 einen 9 mal 2,2 m Mahagoni-Kreuzer erwerben, mit dem ich alljährlich unterwegs gewesen bin.

Der Greifenclub war also lange vor Kriegsausbruch organisatorisch dahin, aber viele Freundschaften blieben bestehen, und vor dem geistigen Auge von uns wenigen Überlebenden steht die große Schar der ehemaligen Kameraden, die so viel vom Leben erhofft hatten und als eine weitgehend verlorene Generation so früh ihr Leben lassen mußten. Der erste fiel schon als junger Fliegeroffizier im spanischen Bürgerkrieg, und etwa vier Fünftel von uns sind bis 1945 umgekommen.

Über das gesellschaftliche Leben und Treiben im neuen Heim des Clubs habe ich schon berichtet. Die Clubflotte erneuerte sich allmählich und vergrößerte sich bedeutend. Unser größter Stolz war die Flotte der nationalen 75er. Sieben dieser prächtigen Schiffe lagen nebeneinander in unserem Hafen, darunter seit 1924 die „Jutta“ unseres späteren Ccmmodcre Walter Schell, ein Mahagoni-Neubau von Abeking & Rasmussen, der sich unter der Führung seines Eigners als sozusagen unschlagbar erwies. Walter Schell, der übrigens schon vorher eine Reihe von sehr schönen Booten gehabt hatte, hat mit seiner „Jutta“ auf allen Pbmmernwochen und auch auf auswärtigen Regatten, u.a. auch auf der Ostwoche in der Danziger Bucht, gegen starke Konkurrenz immer wieder erste Preise ersegelt. Einmal, im Jahre 1928, habe auch ich zu seiner Crew zählen dürfen und den harten, aber immer wieder siegreichen Kampf mit der „Kismet“, einem jüngeren A. & R. – Schwesterschiff; unmittelbar miterleben können. Herr Rasmussen von der Firma A & R bemühte Walter Schell als Steuermann, wenn ein Neubau auf Berliner Revier zum Sieg geführt werden sollte. Commodore Schell hat noch im hohen Alter, nach dem Kriege von Iravemünde aus eine große Clubyacht des Lübecker Yachtclubs mit seiner StYC-Besatzung auf einer größeren Ostseetour geführt. Ich selbst habe die Freude und Ehre gehabt, ihn auf meiner „Pammernland“ auf mehreren Tagesfahrten in der Lübecker Bucht als Gast zu haben. Er ist 1965 92jährig in Lübeck verstorben.

Auch ein nationaler 125er, ein nationaler 60er und mehrere nationale 45er und – zwei Vertens Kreuzer – lagen in unserem Gotzlower Hafen. In den dreißiger Jahren traten dann auch die damals modern werdenden Seefahrtskreuzerklassen, vor allem die 50er in Erscheinung.

Unter den nicht in eine Regattaklasse hineingebauten Booten gab es viele stattliche Fahrzeuge, u.a. zehn große Yawl oder Ketsch getakelte Zweimaster. Auch große Reisen wurden gemacht. Die „Ettsi IV“ segelte um Spanien herum ins Mittelmeer. Lange Zeit lag der „Seeteufel“ des berühmten Hilfskreuzerkommandanten im
ersten Weltkrieg Graf Felix von Luckner bei uns im Hafen. Ich weiß nicht, ob Luckner den jüngeren Clubkameraden noch ein Begriff ist. In den zwanziger und dreißiger Jahren kannte ihn wohl jedermann von seinem Bestseller „Seeteufel“ und seinen interessanten Vortragsreisen her; auch im Ausland war er weithin bekannt. Seine Weltumsegelung Mitte der dreißiger Jahre hat er unter unserem Stander durchgeführt und von unserem Clubhafen aus angetreten. Unser Festsaal war dicht gefüllt, als er überschwänglich weggefeiert wurde. Seine Heimkehr hat in aller Stille stattgefunden; er hatte sich das Wohlwollen des Reichspropagandaministers Goebbels inzwischen gründlich verscherzt. Graf Luckner hat dem Club über den deutschen Zusammenbruch hinaus die Ireue gehalten. Er hat mit seiner schwedischen Gattin noch mehrere Clubveranstaltungen besucht, auch seine Bücher signiert. Als ich im Januar 1958 mich als Vorsitzender des Lübecker Seeamts auf die Leitung der Verhandlung über den Untergang des Segelschulschiffs „Pamir“ vorbereitete, hat er mir in einer langen Aussprache seine Ansichten über diesen Seeunfall, der achtzig –
fast durchweg ganz jungen – Seeleuten das Leben gekostet hat, dargelegt.

Die Feder sträubt sich, von dem bitteren Ende des Clubs in der pommerschen Heimat zu berichten. Beim Ansegeln 1939 lag die Flotte des Clubs noch einmal vor dem Strandbad Altdamm zu Anker. Es war wohl die letzte gemeinschaftliche Eahrt. Ende Juli bin ich mit meinem „Vagabund“ zum letzten Mal in Rügen gewesen – Lauterbach und Insel Vilm. Man stand schon unter schwerem seelischen Druck angesichts der außenpolitischen Lage und der unverkennbaren intensiven Kriegsvorbereitungen.

Unser Clubhaus und -grundstück ist von dem Bombenregen, der im Spätsommer 1944 Stettin zum größten Teil in Schutt und Asche gelegt hat, verschont geblieben. Auch unsere Flotte war demgemäß bei Kriegsende fast unversehrt.Die Boote wären natürlich vorzüglich geeignet gewesen, mit wertvollem Gut westwärts zu flüchten. Aber wo waren die Segler, die sie hätten bemannen können!? Außerdem lagen die meisten Boote noch im Winterlager, als die Russen nahten. Nur drei Boote konnten in den letzten Wochen vor Kriegsende über See nach Schleswig-Holstein gerettet werden: „Gudrun“ (Pasenow), „Klabautermann“ (Härtung) und „Stromer“ (Lenz). Mein „Vagabund“ war in Altdamm, wo ich als junger Richter gewirkt hatte, aufgeschleppt
worden. Er ist von älteren Clubkameraden noch zu Wasser gebracht worden. Um dem Feind Übersetzmöglichkeiten über den See und die Oder zu nehmen, wurden alle auf der Ostseite liegenden Wasserfahrzeuge fortgeschafft oder gesprengt. Mein Boot ist mit mehreren anderen von Pionieren in den Hafen des STYC geschleppt worden. Dort ist es dann den Russen in die Hände gefallen. Unverbürgten Berichten zufolge sind alle intakten Boote per Schiff nach Rußland verladen worden.

Sehr viele heimatvertriebene Stettiner fanden in Schleswig-Holstein, vor allem aber in Lübeck eine Zuflucht, viele auch in Hamburg. In der Erkenntnis, daß an eine Rückkehr — jedenfalls vorerst – nicht zu denken war, war ein jeder vollauf damit beschäftigt, für sich und die Seinen das nackte Überleben zu sichern, eine Unterkunft zu schaffen und wirtschaftlich irgendwie wieder Fuß zu fassen. Traf man sich in der noch fremden Umgebung, so war die Freude groß, und man suchte rein menschlichen Halt aneinander. Als die Verhältnisse sich ein wenig zu konsolidieren begannen, entstand bald der Gedanke, den Club wieder aufleben zu lassen. Es ging aber nicht etwa darum, uns auf solche Weise wieder eine Gelegenheit zu Segeln zu schaffen, dazu fehlte es für uns noch an allen Voraussetzungen. Auch waren die einheimischen Seglervereine – auch solche, die dem bisherigen Zuschnitt des STYC entsprachen — gerne bereit, uns aufzunehmen. Soweit wir an sie herantraten, sind wir mit großer Freundlichkeit aufgenommen worden. Nichts lag uns also ferner, als ein Konkurrenzunternehmen gegenüber den eingesessenen Vereinen aufzubauen. Es
durfte auch einfach nicht wahr sein, daß wir unsere Heimat endgültig verlieren würden. Wir meinten, daß die Polen nur deshalb so maßlos zugegriffen hätten, um Kompensationsobjekte für spätere Verhandlungen in die Hand zu bekommen und daß die künftige Grenze weit ostwärts der Oder gezogen werden würde. Im übrigen liegen Stettin, Ziegenort, Neuwarp und Swinemünde ja sogar westlich der Oder. Ebensowenig haben wir vorausgesehen, daß auch vor dem deutsch verbleibenden Rest unserer pommerschen Heimat (oder sogar noch viel weiter westlich ) ein „eiserner Vorhang“ niedergehen würde. Unsere Zusammenkünfte sind demgemäß auch noch nach der Reaktivierung des Clubs lange Zeit hindurch eigentlich hauptsächlich Wiedersehensfeiern gewesen.

In Lübeck ansässig geworden waren unsere verehrter Commodore und 1. Vorsitzender Walter Schell – damals schon in den Siebzigern – , unser langjähriger Kassenwart Richard Warnke (der nach dem Rücktritt von Walter Schell mehrere Jahre den Vorsitz geführt hat) und noch mehrere Clubmitglieder, darunter auch der Verfasser dieses Berichtes. Kein Büro, keine Sohreibmaschine? Handschriftlich haben wir die Kameraden, deren Verbleib wir erfuhren, angeschrieben, weitere Anschriften ermittelt, Rundschreiben verfaßt. Unsere Aufrufe fanden einhellige Zustimmung, und bei unserem ersten Nachkriegstreffen fanden sich in Lübeck nicht weniger als 30 Clubmitglieder zusammen; ein Vorstand wurde gewählt – 1. Vorsitzender Commodore
Schell — , und der Club lebte wieder auf.

Die Zeit verging. Wir Jüngeren wollten natürlich wieder segeln, und die meisten fanden auch auf die eine oder andere Art – als Mitsegler, auch durch Kauf mehr oder weniger primitiver Fahrzeuge – oder durch Charter dazu wieder Gelegenheit. Erster Neubau 1950 war meine „Pbmmernland“, die jetzt noch als Veteran an unserem Steg liegt. Wir wurden in einheimischen Vereinen freundlich aufgenommen; aber der Wunsch, wenigstens außerhalb des engeren Reviers unseren alten Stander zu fahren, stieß doch nur sehr bedingt auf Verständnis und führte zu unbefriedigenden Kompromissen. Nachdem in den nächsten Jahren auch weitere Kameraden wieder etwas Eigenes hatten erwerben können, griffen wir freudig zu, als sich die Gelegenheit
bot, auf dem Priwall die Brücke an der ehemaligen Mittelfähre zu pachten. Damit war die Frage der Wiedereröffnung eines eigenen Sportbetriebes „im Exil“ entschieden. Als dann wieder einige Jahre später, die Brücke an der Mittelfähre der Iraveverbreiterung zum Opfer fiel, hat der Club die Plätze im ehemaligen U-Boot-Hafen bekommen, mit denen er bis heute vorlieb nehmen muß.

Kopfzerbrechen und kontroverse Meinungen dagegen hat es um die Frage gegeben, wie weit der Kreis neu aufzunehmender Mitglieder zu ziehen wäre. Als Sammelbecken aller Stettiner und pommerscher Segler, deren Vereine nicht weiter existierten, haben wir uns bald verstanden. Aber sehr gewichtige Stimmen vertraten die Auffassung, daß wir uns als reinen Traditionsverein betrachten und notfalls in Ehren untergehen sollten, wenn uns eine Heimkehr nicht vergönnt sein würde. Die letzten aktiven Segler sollten dann, wenn ein eigener Betrieb sich nicht mehr verlohnen würde dem Lübecker Yacht-Club sich anschließen, der ihnen sicherlich gestatten würde, den alten Stander jedenfalls im Want zu führen. Dem war entgegenzuhalten,
daß wir doch unseren Ieil dazu beitragen sollten, unsere Heimat nicht der Vergessenheit anheimfallen zu lassen und ihre Überlieferungen zu pflegen und hochzuhalten. Man solle also den STYC weiter in die Zukunft führen und geeignet erscheinende neue Mitglieder aufnehmen, sofern sie alte Beziehungen zu Pommern hoch
hielten oder sonst die Gewähr dafür zu bieten schienen, daß sie mit unsern Leitgedanken übereinstimmten. Diese Auffassung hat obgesiegt. Aber ich weiß nicht, ob sich die Verantwortlichen in jedem Falle bei der Aufnahme neuer Mitglieder diese Anforderungen vergegenwärtigt haben. Wir können nicht jedem ins Herz schauen, ob er sich darüber klar gewesen ist, daß er mit seinem Aufnahmeantrag in gewissem Umfang ein Bekenntnis zur Aufrechterhaltung der Erinnerungen an unser Pommernland und zur Pflege der Überlieferungen der pommerschen Sportsegelei ablegte. Nur hierin sehe ich die innere Berechtigung für die Aufrechterhaltung der STYC. Ein Bedürfnis für eine zusätzliche Lübecker Seglervereinigung bestand sonst nicht.

Ein Alptraum für uns der Gedanke, daß einst sich eine Dreiviertel-Stimmenmehrheit dafür finden werde, diese Traditionen über Bord zu werfen und den Namen des Clubs zu ändern. Unsere alten Kameraden würden sich im Grabe umdrehen, und die etwa noch vom alten Stamm Überlebenden würden sich abwenden und sich bittere Vorwürfe machen, daß sie nicht jedem Einzelnen ein ausdrückliches Bekenntnis abverlangt hätten.

Zur Zeit brauchen wir uns in dieser Hinsicht gewiß keine Sorgen zu machen. Eine stattliche Schar von jüngeren und jungen Clubmitgliedern, die wir mit vollem Herzen willkommen geheißen haben, läßt erwarten, daß sie den STYC in dem gedachten Sinne tatkräftig und erfolgreich weiterführen werden. Derzeit weht unser alter Stander wieder über vielen schönen und stolzen Schiffen. Es ist mein Wunsch und meine Hoffnung, daß unserm Club eine glückliche Entwicklung, möglichst wieder mit eigenen Sportanlagen und einem eigenen Clubheim, beschieden sein möge.